Richtige Erziehung: weniger Kontrolle, weniger Schule und weniger Verbote

Kinder sollten „edel vernachlässigt werden“, sagt der Schweizer Psychotherapeut Allan Guggenbühl. Er plädiert dafür, Kinder weniger zu verwöhnen und ihnen mehr Freiheit zu geben. Vielen Eltern fällt es extrem schwer, sich dafür zu entscheiden, weil die Gesellschaft von überall her drängt. Die Angst, schlecht, unaufmerksam, gleichgültig zu sein, ist zu groß, und es ist völlig unklar, wie man sie loswird.

Der Schweizer Psychotherapeut kennt im Gegensatz zu vielen anderen Autoren die Ängste vieler Väter und Mütter aus eigener therapeutischer Praxis. Es scheint ihnen, dass sie ihr Kind nicht gut und aufmerksam genug erziehen, um in unserer „neoliberalen Gesellschaft“ ruhig bestehen zu können.

Allan Guggenbühl in Das Beste für mein Kind. Wie wir unseren Kindern die Kindheit nehmen“ lädt Mütter und Väter ein, Mut zu zeigen und setzt sich nachdrücklich für das Recht von Kindern auf eine spielerische Kindheit und eine spontane, chaotische Jugend ein, in der sie sich ausprobieren und Fehler machen dürfen.

Er besteht darauf, die Kontrolle zu lockern und den Erwachsenen zu sagen: weniger Schule, weniger Hemmungen, mehr Freiraum, mehr wohlwollende elterliche Vernachlässigung und mehr zielloses «Umherirren» des Kindes. Schließlich wissen Eltern, so traurig es auch war, dies zu lesen, nicht unbedingt besser als ihr Kind die richtige Entscheidung für sein weiteres Leben.

„Jugendliche wollen nicht mehr, dass ihre Zukunft von Erwachsenen formuliert und gebaut wird, sie wollen sie selbst gestalten“, schreibt die Autorin.

Unfreiheit der Kinder

Was wird aus den Kindern, die jetzt alles haben? Werden sie selbstzufriedene Egozentriker oder hilflose Erwachsene? Zunächst einmal sollte man Angst vor ihrem Scheitern haben, ist die Psychotherapeutin überzeugt.

„Sie erweisen Kindern keinen Gefallen, wenn Sie alle Hindernisse auf ihrem Weg beseitigen und ständig alle ihre Bedürfnisse erfüllen. Sie beginnen zu fühlen, dass die Umgebung ihre Wünsche erfüllen sollte, und es ist unfair, wenn dies nicht der Fall ist. Aber das Leben kann hart und widersprüchlich sein.“

Aber steckt hinter dem Phänomen der «Helikopter-Eltern» (dieser Begriff entstand als Bild von Müttern und Vätern, die ewig um das Kind kreisen) nicht ein Versuch, das Kind vor dieser ungerechten Welt zu schützen? Es ist klar, dass Eltern das Beste für ihr Kind wollen.

Die Zahl der Kinder in den Familien ist zurückgegangen, das Alter der Eltern gestiegen. Ältere Eltern haben mehr Angst um ihre Kinder – das ist eine Tatsache. Ein einzelnes Kind läuft Gefahr, zu einem emotional aufgeladenen Projekt zu werden. Außerdem haben solche Eltern mehr Zeit für das Kind, was für ihn oft schief geht.

Kinder spielten nicht mehr frei auf der Straße. Für den Kontakt zu Gleichaltrigen reichen ihre Handys aus. Der Schulweg wird nun von den Diensten des «Mama-Taxi» bewältigt. Schaukeln und Rutschen auf Spielplätzen sind voller Kinder, die ständig unter der Kontrolle von Eltern oder Kindermädchen stehen.

Die Freizeit eines Kindes – vom Vorschulkind bis zum Absolventen – ist starr organisiert, jeder Streich oder jedes Teenagerexperiment wird sofort sozial inakzeptabel und wird als Pathologie und sogar als psychische Störung interpretiert.

Doch dann stellt sich die Frage: Wie viel Freiheit braucht ein Kind und wie viel Fürsorge? Wo ist die goldene Mitte? „Kinder brauchen Bezugspersonen, auf die sie sich verlassen können“, sagt Allan Guggenbühl. — Sie brauchen jedoch keine Erwachsenen, die ihnen verschiedene Programme aufzwingen. Lassen Sie die Kinder ihre eigenen Interessen wählen.

Arbeiten, nicht nur lernen

Was brauchen Kinder, um glücklich zu sein? Laut Allan Guggenbühl brauchen sie Liebe. Viel Liebe und prinzipielle Akzeptanz von den Eltern. Aber sie brauchen auch Fremde, die mit ihnen kommunizieren und sie nach und nach in die Welt einführen. Und hier spielt die Schule eine wichtige Rolle. Doch auch hier hat der Psychologe Vorbehalte.

Sie müssen lernen, aber eine Pause für andere nützliche Aktivitäten einlegen. Kinderarbeit? Das wäre die Lösung! postuliert der Zürcher Psychotherapeut. „Ab neun Jahren einmal die Woche Zeitungen herausgeben, statt zur Schule zu gehen. Und so ging es mehrere Monate lang.“ Dadurch werden die Möglichkeiten des Kindes erweitert.

Sie können es bei der Lagerarbeit, im Außendienst oder in kleinen gewerblichen Fällen einsetzen – zum Beispiel Teilzeitarbeit im Laden beim Einräumen von Waren in Regale, Hilfe an der Kasse, Reinigungsdienste und Kundenberatung. Restaurants bieten viele Möglichkeiten Geld zu verdienen.

Das Gehalt sollte laut dem Autor des Buches nicht dem Niveau von Erwachsenen entsprechen, aber aus Sicht des Kindes sollte es erheblich sein. Guggenbühl ist überzeugt, dass Kindern dadurch ein Bewusstsein für echte Verantwortung und Wirksamkeit in der Welt der Erwachsenen vermittelt wird.

Das Problem mit Guggenbuhls Buch und vielen ähnlichen Erziehungslehrbüchern besteht jedoch darin, dass seine Schlussfolgerungen nur für eine Untergruppe der Bevölkerung gelten, sagen Kritiker. Betrachtet man die Regale in den Buchhandlungen, könnte man meinen, dass die Kontrolle und Förderung europäischer Eltern ein riesiges gesellschaftliches Problem ist.

In Wirklichkeit ist es weit davon entfernt, der Fall zu sein. Ein viel drängenderes Problem ist, dass beispielsweise in Deutschland 21 % aller Kinder dauerhaft in Armut leben. In Bremen und Berlin ist jedes dritte Kind arm, selbst im wohlhabenden Hamburg lebt jedes fünfte Kind unterhalb der Armutsgrenze. Und wie sehen solche Statistiken aus, wenn Sie nach Russland schauen?

Kinder, die unterhalb der Armutsgrenze leben, sind ständig in psychischem Stress, beengten Wohnverhältnissen, ihre Eltern haben kein Geld für gesunde Ernährung, Bildung, Hobbies und Urlaub. Sie sind definitiv nicht davon bedroht, verwöhnt zu werden und Launen nachzugeben. Es wäre schön, wenn sich auch Beraterinnen und Berater unter Kinder- und Jugendpsychotherapeuten diesem Aspekt der Kindheit widmen würden.

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