Rolf Hiltl: Niemand wird ein gut zubereitetes vegetarisches Gericht ablehnen

1898 öffnete in Zürich an der Sihlstrasse 28 neben der berühmten Bahnhofstrasse eine für die damalige Zeit untypische Institution ihre Pforten – ein vegetarisches Café. Außerdem wurden keine alkoholischen Getränke serviert. Das „Vegetarierheim und Abstinnz Café“ – „Vegetarische Herberge und Café für Abstinenzler“ – bestand jedoch mehrere Jahre, über die Wende vom 19. ins 20. Jahrhundert. Jetzt erobert es die Herzen und Mägen der Vegetarier des 21. Jahrhunderts. 

Die vegetarische Küche kam in Europa gerade zaghaft in Mode, und das Restaurant konnte kaum über die Runden kommen – der durchschnittliche Umsatz lag bei 30 Franken pro Tag. Kein Wunder: Zürich war damals noch weit vom Finanzzentrum entfernt, die Einwohner warf kein Geld zum Fenster hinaus, und für viele Familien war es bereits ein Luxus, mindestens einmal pro Woche, sonntags, Fleisch auf den Tisch zu bringen. Vegetarier sahen in den Augen gewöhnlicher Menschen wie dumme „Grasfresser“ aus. 

Die Geschichte des „Abstinenzler-Cafés“ wäre im Sande verlaufen, wenn nicht ein gewisser Besucher aus Bayern namens Ambrosius Hiltl zu seinen Kunden gehört hätte. Bereits im Alter von 20 Jahren litt er, von Beruf Schneider, an schweren Gichtanfällen und konnte nicht arbeiten, da er seine Finger kaum bewegen konnte. Einer der Ärzte sagte ihm seinen frühen Tod voraus, wenn Hiltle nicht aufhöre, Fleisch zu essen.

Der junge Mann folgte dem Rat des Arztes und begann regelmäßig in einem vegetarischen Restaurant zu essen. Hier wurde er 1904 Geschäftsführer. Und im folgenden Jahr machte er einen weiteren Schritt in Richtung Gesundheit und Wohlstand – er heiratete die Köchin Martha Gnoipel. Gemeinsam kaufte das Paar 1907 das Restaurant und benannte es nach sich selbst. Seither erfüllt die Familie Hiltl in vier Generationen die vegetarischen Bedürfnisse der Zürcherinnen und Zürcher: Das Restaurant wurde in männlicher Linie von Ambroisus sukzessive an Leonhard, Heinz und schliesslich Rolf, den heutigen Besitzer von Hiltl, weitergegeben. 

Rolf Hiltl, der das Restaurant 1998, kurz nach dessen XNUMX-jährigem Bestehen, führte, gründete bald zusammen mit den Gebrüdern Fry die vegetarische Lebensmittelkette Tibits by Hiltl mit Filialen in London, Zürich, Bern, Basel und Winterthur. 

Gemäss der Schweizerischen Vegetarier-Gesellschaft leben nur 2-3 Prozent der Bevölkerung vollständig vegetarisch. Aber natürlich wird niemand ein gut zubereitetes vegetarisches Gericht ablehnen. 

„Die ersten Vegetarier waren größtenteils Träumer, die glaubten, dass der Himmel auf Erden gebaut werden könnte. Heute steigen die Menschen auf pflanzliche Lebensmittel um und achten mehr auf ihre eigene Gesundheit. Als vor ein paar Jahren die Zeitungen voller Artikel über Rinderwahn waren, gab es Schlangen vor unserem Restaurant“, erinnert sich Rolf Hiltl. 

Trotz der Tatsache, dass das Restaurant das ganze 20. Jahrhundert über funktioniert hat, stand die vegetarische Küche insgesamt lange im Schatten. Seine Blütezeit erlebte es in den 1970er Jahren, als die Ideen zum Schutz von Tieren und der Umwelt an Bedeutung gewannen. Viele junge Leute verspürten den Wunsch, ihre Liebe zu ihren kleineren Brüdern durch die Tat zu beweisen, indem sie sich weigerten, sie zu essen. 

Rolle und Interesse an exotischen Kulturen und Küchen gespielt: zum Beispiel indische und chinesische, die auf vegetarischen Gerichten basieren. Nicht umsonst finden sich auf der Speisekarte von Hiltl heute viele Gerichte nach Rezepten der asiatischen, malaysischen und indischen Küche. Gemüse-Paella, arabische Artischocken, Blumensuppe und andere Köstlichkeiten. 

Das Frühstück wird von 6 bis 10.30 Uhr serviert, den Besuchern werden kulinarische Mehlspeisen, leichte Gemüse- und Fruchtsalate (ab 3.50 Franken pro 100 Gramm) sowie Natursäfte angeboten. Das Restaurant ist bis Mitternacht geöffnet. Nach dem Abendessen sind zahlreiche Desserts besonders beliebt. Sie können auch Kochbücher kaufen, in denen Hiltl-Köche ihre Geheimnisse verraten und lernen, wie man selbst kocht. 

„Am meisten liebe ich an diesem Job, dass ich meine Kunden verblüffen und begeistern kann, ohne ein einziges Tier zu verletzen“, sagt Rolf Hiltl. „Seit 1898 haben wir mehr als 40 Millionen Geräte abgedeckt, stellen Sie sich vor, wie viele Tiere sterben müssten, wenn jede Portion mindestens 100 Gramm Fleisch enthalten würde?“ 

Rolf glaubt, Ambrosius Hiltl würde sich freuen, seinen Nachwuchs am Tag des 111-jährigen Jubiläums zu sehen, aber auch nicht minder überrascht. 2006 komplett renoviert, bedient das Restaurant heute 1500 Gäste täglich, dazu eine Bar (nicht mehr für Abstinenzler), eine Disco und Kochkurse. Unter den Gästen findet sich hin und wieder auch Berühmtheit: Der berühmte Musiker Paul McCartney oder der Schweizer Regisseur Mark Foster schätzten die vegetarische Küche. 

Das Zürcher Hiltl ist als erstes vegetarisches Restaurant Europas ins Guinness-Buch der Rekorde eingegangen. Und im in der Schweiz beliebten sozialen Netzwerk Facebook sind 1679 Fans auf der Seite des Restaurants Hitl registriert.

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